Der seit 1991 etablierte und 2017 zum 14. Mal ausgeschriebene AGNP-Preis für Forschung in der Psychopharmakologie , wird alle zwei Jahre an einen Wissenschaftler oder ein Team von einem Expertengremium auf dem AGNP- Symposium verliehen. Der Preis soll herausragende Forschungsarbeiten auf allen Gebieten der Psychopharmakologie anerkennen. Die Forschungsarbeiten sollten eine Antwort auf eine neue wichtige Fragestellung zum Verständnis oder zur Behandlung psychischer Krankheiten des Menschen liefern.
2017 geht der Preis zu gleiche Teilen an
Herrn Prof. Dr. Dr. Michael Bauer, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
für die Arbeit „Achievements in the Field of Treatment of Mood Disorders with Thyroid Hormones“
sowie an
Herrn Prof. Dr. Falk Kiefer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
Für die Arbeit „Effects of D-cycloserine on extinction of mesolimbic cue-reactivity: a randomized, placebo-controlled trial“
Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen der Eröffnung des 30. AGNP-Symposiums am 4. Oktober 2017
Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Nach Studium der Biologie an der Universität Konstanz und Humanmedizin an der FU Berlin, naturwissenschaftliche Promotion in der Tumorvirologie am Institut für Molekularbiologie und Biochemie der FU Berlin. Facharztweiterbildung und Habilitation an der Psychiatrischen Klinik der FU Berlin.
1998-2002 Forschungsaufenthalt am Neuropsychiatric Institute & Hospital der University of California Los Angeles (UCLA).
2002-2006 Leitender Oberarzt Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte.
Seit 2007 Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden.
Mehr als 360 wissenschaftliche Originalpublikationen zu affektiven Störungen, Autor des 2016 erschienen Textbuches „The Essential Guide to Lithium Treatment“. Langjähriger Vorsitzender Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS), derzeit Chairman der Task Force „Treatment Guidelines Unipolar Depressive Disorders“ der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP), President, International Group for the Study of Lithium-Treated Patients (IGSLI), Projektleiter der S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen“ und Koordinator des nationalen BMBF Forschungsverbundes „BipoLife“ zu bipolaren Störungen. Editor-in-chief der Zeitschriften Pharmacopsychiatry und International Journal of Bipolar Disorders, Mitherausgeber „Der Nervenarzt“.
Zusammenfassung
„Klinische und neuronale Effekte von Schilddrüsenhormonen bei affektiven Störungen“
Schilddrüsenhormone werden aufgrund ihrer modulierenden Eigenschaften auf affektregulierende neuronale Systeme in der Behandlung affektiver Störung seit vielen Jahren therapeutisch eingesetzt, ohne dass die zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen verstanden wurden. Ausgehend von der Arbeitshypothese einer „zentralen Hypothyreose“ könnte eine erniedrigte lokale Verfügbarkeit von Schilddrüsenhormonen an zerebralen Zielregionen verantwortlich für therapierefraktäre Verläufe affektiver Störungen sein (1).
Nachdem sich die sog. supraphysiologische Schilddrüsenhormon-Augmentationsbehandlung in offenen Studien bereits als effektiv und sicher gezeigt hatte, wurden nun spezifische antidepressive und neuronale Effekte mit Hilfe von Plazebo-Kontrollierten Studien weiter untersucht. In einer multizentrischen, randomisierten, Plazebo-kontrollierten 6-wöchigen Interventionsstudie wurden therapierefraktäre Patienten mit bipolarer Depression zusätzlich zu einer antidepressiven oder stimmungsstabilisierenden Therapie mit 300mcg L-Thyroxin (L-T4)/Tag behandelt.
Im Gegensatz zu der Gruppe der männlichen Probanden, zeigte sich bei der Gruppe der Frauen – entsprechend einer der Ausgangshypothesen – nach 6 Wochen eine signifikante Reduktion der Depressionsschwere (2,3). Höhere TSH Spiegel hatten bei Frauen einen positiven prädiktiven Wert für einen Behandlungserfolg. Der zerebrale Glukosemetabolismus wurde mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Fluordesoxyglucose (FDG) als Radiotracer vor sowie 6 Wochen nach Behandlung mit L-T4 oder Plazebo in 12 Volumes-of-Interest (VOI) untersucht (4).
Zusätzlich zum signifikanten Rückgang depressiver Symptome nach 6 Wochen führte die L-T4 Augmentationsbehandlung zu signifikanter Veränderung der regionalen Aktivität in den Strukturen Thalamus, Amygdala, Hippocampus, dorsales/ventrales Striatum, Cerebellum und subgenuales Cingulum. Metabolische Verminderungen in allen VOI zeigten signifikante Korrelationen mit einem Rückgang depressiver Symptome. Die Plazebo-Behandlung war lediglich mit einem Rückgang der metabolischen Aktivität in der rechten Amygdala assoziiert; keine Region zeigte metabolische Veränderungen, die mit depressiven Symptomen korrelierte.
Die Ergebnisse funktioneller Bildgebung zeigen, dass Schilddrüsenhormone modulierend auf Gehirnstrukturen des limbischen Systems wirken aufweisen, die wesentlich an der Regulation von Stimmung, Affekt und kognitiven Leistungen beteiligt sind. Darüber bestätigt die Studie, dass das adulte menschliche Gehirn ein Wirkort von Schilddrüsenhormonen ist – ein Befund der lange Zeit in der Endokrinologie umstritten war.
Die Supraphysiologische Behandlung mit L-Thyroxin ist eine Therapieoption bei therapierefraktärer bipolarer Depression, insbesondere bei Frauen.
Referenzen:
1. Bauer M, Goetz T, Glenn T, Whybrow PC (2008): The thyroid-brain interaction in thyroid disorders and mood disorders. Journal of Neuroendocrinology 20:1101-1114
2. Stamm T, Lewitzka L, Sauer C, Pilhatsch M, Smolka MN, Koeberle U, Adli M, Ricken R, Scherk H, Frye MA, Juckel G, Assion HJ, Gitlin M, Whybrow PC, Bauer M (2014): Supraphysiologic Doses of Levothyroxine as Adjunctive Therapy in Bipolar Depression: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Study. Journal of Clinical Psychiatry 75(2):162-168
3. Bauer M, Glenn T, Pilhatsch M, Pfennig A, Whybrow PC (2014): Gender differences in thyroid system function: relevance to bipolar disorder and its treatment. Bipolar Disorders 16:58-71
4. Bauer M, Berman S, Stamm T, Plotkin M, Adli, Pilhatsch M, London ED, Hellemann GS, Whybrow PC, Schlagenhauf F (2016): Levothyroxine effects on depressive symptoms and limbic glucose metabolism in bipolar disorder: a randomized, placebo-controlled positron emission tomography study. Molecular Psychiatry 21:229-236
Univ. Prof. Dr. med. Falk Kiefer
Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit,
Lehrstuhl für Suchtforschung, Universität Heidelberg
Prof. Dr. Falk Kiefer studierte Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und absolvierte seine psychiatrisch-psychotherapeutische Facharztweiterbildung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, wo er auch 2004 habilitierte.
Im gleichen Jahr nahm er den Ruf der Universität Heidelberg auf eine Professur für Psychiatrie und Psychotherapie und 2016 auf den Lehrstuhl für Suchtforschung an, verbunden mit der Position des Ärztlichen Direktors der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim.
Falk Kiefer ist President-elect der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht), Vice-Chair der Sektion Addictive Behaviours der European Psychiatric Association (EPA), Vorstand der Deutschen Suchtstiftung und Direktor des Feuerlein Centrums für Translationale Suchtmedizin. Es ist Herausgeber der Zeitschrift European Addiction Research und Board Member der Zeitschriften Addiction Biology und Alcohol and Alcoholism.
Für seine wissenschaftlichen Arbeiten wurde Falk Kiefer mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit Forschungspreisen der European Psychiatric Association (EPA) und der Oberberg-Stiftung sowie Fellowship Awards der World Psychiatric Association (WPA), des European College of Neuropsychopharmacology (ECNP) und der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie.
Zusammenfassung
Zur Wirksamkeit von D-Cycloserin auf die Extinktion der mesolimbischen Reiz-Reaktivität und den Therapieverlauf bei Alkoholabhängigkeit: eine randomisierte, placebokontrollierte Studie
Die pharmakologische Unterstützung psychotherapeutischer Interventionen repräsentiert ein neues und herausforderndes Gebiet der Neuropsychopharmakologie („cognitive enhancement“; pro-psychotherapeutische Pharmakotherapie).
Suchterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in westlichen Ländern. Eine der effektivsten Strategien zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit ist die Reiz-Expositionstherapie (CET). Präklinische Studien belegen, dass Extinktionslernen unter der Pharmakotherapie mit D-Cycloserin (DCS), einem Partialagonisten an der Glycin-Bindungsstelle des NMDA-Rezeptors, durch eine Verbesserung der Gedächtniskonsolidierung verbessert werden kann (Kiefer & Dinter, 2013).
Nachdem in mehreren Vorstudien die mesolimbische Reiz-Reaktivität (mCR) auf visuelle Alkoholreize als Therapietarget bei Suchterkrankungen definiert werden konnte, legt die Preisarbeit nun erste Daten beim Menschen vor, dass eine mit DCS pharmakologisch augmentierte CET zu einer verminderten mCR bei alkoholabhängigen Individuen führt. Die Reduktion der mCR und des Craving war darüber hinaus im follow-up mit einem verminderten Rückfallrisiko assoziiert.
In der randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Studie rekrutierten wir 76 alkoholabhängige Patienten, von denen 32 (16 DCS, 16 Placebo) eine mCR auf visuelle Alkoholreize aufwiesen. Nach stationärer Entzugsbehandlung unterzogen sich die Patienten innerhalb von drei Wochen neun CET-Sitzungen und erhielten entweder 50 mg DCS oder Placebo eine Std. vor jeder CET-Sitzung. Die Erfassung der mCR erfolgte mittels funktionaler Magnetresonanztomographie (fMRI) vor und nach Intervention.
Die Arbeit erweitert frühere Befunde unserer Gruppe, in denen wir zeigen konnten, dass: (a) der Aufmerksamkeitsfehler („attentional bias“) in Richtung visueller Alkoholreize mit der mCR assoziiert ist (Vollstädt-Klein et al., 2012) und dass (b) die CET zu einer Reduktion des mCR führt (Vollstädt-Klein et al., 2011).
Die Studie (IIT) wurde von der DFG gefördert (SFB 636) und als doppelblinde, randomisierte, placebo-kontrollierte klinische Studie konzipiert.